Die Berufslehre, eine «echte Win-win-Situation für das Unternehmen und die Lernenden»

Bruno Studer, Direktor und Gründer des Webentwicklungsunternehmens Wecode in Genf, erzählt uns von seiner Sicht auf die Berufslehre. Er hat selbst auch diesen Weg beschritten und freut sich, bald den ersten Lernenden in seinem jungen Unternehmen begrüssen zu dürfen. Seiner Erfahrung nach bietet die Berufslehre zahlreiche Vorteile, erst recht in einem kleinen KMU wie dem seinen. Ein Interview über den Wert der Berufslehre für junge Menschen und Unternehmen.

Sie haben selbst eine Berufslehre absolviert. War es für Sie selbstverständlich, Lernende im Unternehmen einzustellen, das Sie vor zwei Jahren gegründet haben?
Absolut. Ich habe selbst eine Berufslehre mit einem EFZ als Mediamatiker durchlaufen und meine Erfahrungen sehr geschätzt. Für mich ist es eine logische Folge, dass ich nun meinerseits einen Lernenden zum Mediamatiker ausbilde. Das ist eine gute Möglichkeit, einem oder einer Jugendlichen eine Chance zu bieten, wie ich sie selbst vor Jahren erhalten hatte. Es ist auch ein menschlich bereicherndes und befriedigendes Abenteuer, und gleichzeitig finanziell interessant. Dies gilt umso mehr für eine kleine Firma wie die meine. Die Berufslehre ist eine echte Win-win-Situation für das Unternehmen und den Lernenden. Im ersten Jahr muss man vielleicht mehr Zeit investieren, um den Lernenden gut zu integrieren und auszubilden. Im Laufe seiner Lehre wird er aber sehr viel zurückgeben können, da er zu einer effizienten Fachkraft wird, die das Unternehmen gut kennt. Wenn man ihn anschliessend einstellt, kann er im Vergleich zu einem externen Kandidaten einen enormen Mehrwert bieten, weil er das Umfeld und das Unternehmen wie seine Westentasche kennt. Da ich einen Fachausweis für Unternehmensführung KMU habe, bin ich mir auch sicher, dem Lernenden einen echten Mehrwert bieten zu können. Ich kann ihm vielleicht auch Lust darauf machen, in einigen Jahren selbst sein eigenes Unternehmen zu gründen.

Welche Vorteile sehen Sie darin, Mitarbeitende mit einem Abschluss einer Berufslehre einzustellen?
Der Hauptvorteil ist die Beschäftigungsfähigkeit. Ein Kandidat mit Berufslehre ist direkt fähig zu arbeiten und bereit, seinen Beitrag zu leisten. Er hat gelernt, sich an einem Arbeitsort einzufinden, und hat somit die Realität der Arbeitswelt gut verstanden. Er ist ergebnisorientiert und hat bereits Verantwortung übernommen. Junge Universitätsabsolventen zum Beispiel brauchen womöglich Zeit, sich an die Arbeitswelt anzupassen, da einige noch nie gearbeitet haben. Durch die Konfrontation mit der Unternehmenswelt müssen junge Lernende notwendigerweise wertvolle Soft Skills entwickeln, deren Wert in der Arbeitswelt oft unterschätzt wird. Und wenn man eine Lehre in einem kleinen Betrieb wie dem meinen macht, kommt man mit allem in Berührung und entwickelt ein breites Spektrum an Kompetenzen. Dies ist in grossen Unternehmen, wo die Arbeitsteilung manchmal sehr ausgeprägt ist, nicht unbedingt möglich. Mitarbeitende mit Berufslehre können einem Unternehmen fast sofort einen Mehrwert bieten, weshalb sie in bestimmten Bereichen sehr gesucht sind.

Manche Eltern drängen ihr Kind in eine bestimmte Richtung, häufig in Richtung Hochschulbildung. Was würden Sie diesen Eltern sagen?
Ich denke, man muss seinem Kind zuhören können und es eine Richtung einschlagen lassen, die ihm wirklich entspricht. Die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Arbeit beschäftigt vor allem die jüngeren Generationen, und man sollte sie bei den Überlegungen zum Berufsweg von Anfang an einbeziehen. Jugendliche, die in eine Richtung gedrängt werden, die ihnen nicht gefällt, werden während der Ausbildung und dann im Beruf nicht glücklich sein, wenn es denn überhaupt zu einem Abschluss kommt. Somit wechseln sie schliesslich den Beruf, vielleicht via eine andere Ausbildung. Es ist daher sinnvoller, wenn man einen Jugendlichen seine Vision verfolgen lässt. Und wenn er eine Leidenschaft für den Beruf hat, den er lernt und später praktizieren wird, ist er sehr wertvoll für das Unternehmen, das ihn einstellen darf. Er wird sich in seiner Berufspraxis voll entfalten können.

Man hört oft, dass Hochschulabschlüsse zwingend zu höheren Positionen in der Hierarchie führen als Berufslehren. Wie denken Sie darüber?
Ich bin nicht sicher, ob ein Studium systematisch zu einem höheren Posten in der Hierarchie führt. Nehmen wir zum Beispiel einen Angestellten auf dem Bau, der sein EFZ mit 18 Jahren macht. Mit 23 hat er bereits 8 oder 9 Jahre Arbeitserfahrung und kann beginnen, Teams zu leiten. Wenn er Unternehmergeist besitzt, kann er ein eigenes Unternehmen aufbauen und in den Jahren danach ein Unternehmen leiten. Das ist für jemanden im selben Alter mit Hochschulabschluss nicht möglich. Ausserdem gibt es für einen Jugendlichen mit Berufslehre zahlreiche Möglichkeiten, sich weiterzubilden.

Zum Schluss: Was würden Sie Jugendlichen sagen, die nicht wissen, ob Sie eine Berufslehre beginnen sollen?
Zuerst einmal weiss ich, dass es schwierig ist, sich in jungen Jahren für einen Berufsweg zu entscheiden. Mit 13 oder 14 kann es schwierig sein, eine Wahl zu treffen. Man muss sich aber bemühen, sich Fragen zu stellen und sich zu informieren, um einen Ausbildungsweg zu finden, der den eigenen Interessen am besten entspricht. Ausserdem gibt es in vielen Branchen wie der Informatik, der Hotellerie und Gastronomie oder dem Gesundheitswesen einen Mangel an Personal mit Berufslehre. Diese Branchen bieten zahlreiche Vorteile und Arbeitsbedingungen, die für die Jugendlichen sehr interessant sind. Zusammenfassend würde ich sagen, dass die Berufslehre ein sehr konkreter Weg ist, der es schnell ermöglicht, Erfahrung zu gewinnen, die Arbeitswelt kennenzulernen und unabhängig zu werden. Man kann somit sehr schnell ins Berufsleben einsteigen und sich eine schöne Karriere aufbauen.

Über Bruno Studer und Wecode
Bruno Studer begann seine berufliche Laufbahn mit einem EFZ als Mediamatiker am Berufsbildungszentrum in Sainte-Croix. Den praktischen Teil dieser Ausbildung schloss er in der Kommunikationsagentur Habefast in Nyon ab. Auf der Grundlage dieser Erfahrung entwickelte er sich im Umfeld der Kommunikation, insbesondere der digitalen Kommunikation, weiter und arbeitete als Berater für Unternehmen. Bereits als Unternehmer im Bereich E-Commerce tätig, machte er den eidgenössischen Fachausweis Unternehmensführung KMU am Weiterbildungsinstitut CEFCO, weil er seine Kompetenzen erweitern und das Gelernte anerkennen lassen wollte. 2021 war es so weit und Bruno Studer erhielt seinen Fachausweis. Er verkaufte sein E-Commerce-Unternehmen und gründete Wecode in Genf. Wecode ist auf Webentwicklung, digitale Kommunikation und Design spezialisiert. Das Unternehmen zählt heute 6 fachlich kompetente Mitarbeitende mit Leidenschaft für ihren Beruf. Wecode entwickelt sich weiter und freut sich darauf, kommenden Herbst seinen ersten Lernenden zu begrüssen.